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exklusiv (Quelle Tagesschau 25.04.2024)

Menschenrechtler zu Glyphosat-Einsatz Beschwerde gegen Bayer bei der OECD

Stand: 25.04.2024 06:00 Uhr

 

 

 

Abholzungen, Landvertreibung, Glyphosat im Trinkwasser: Menschenrechtsorganisationen werfen dem Bayer-Konzern vor, seiner Verantwortung für den Einsatz von Gensoja und Glyphosat nicht nachzukommen - und legen Beschwerde bei der OECD ein

 

 
Von Fabian Grieger und Jan Wiese, rbb

 

Erstmals reicht eine internationale Gruppe von Menschenrechtsorganisationen Beschwerde gegen den Bayer-Konzern wegen Verstoßes gegen die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen ein. Dem Konzern wird vorgeworfen, seiner Verantwortung für die Anwendung von Glyphosat und die Nutzung von Gensoja nicht nachgekommen zu sein.

 

Die Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wurden 2011 verabschiedet und sehen unter anderem vor, dass Unternehmen, die im Ausland aktiv sind, die Risiken bei der Anwendung ihrer Produkte analysieren und Schäden vorbeugen sollen. Bayer bekennt sich öffentlich zur Einhaltung dieser Regeln.

 

Klagen über Übelkeit und Atemprobleme

Im Beschwerdetext, der rbb24 Recherche exklusiv vorliegt, wird unter anderen der Fall von Sabrina Ortiz im argentinischen Pergamino dokumentiert. Ortiz lebte in der Nähe riesiger Sojafelder. Nach dem Ausbringen der Pestizide klagten Anwohner über Übelkeit, Atemprobleme oder Hautausschläge. Ortiz zeigte 2011 Vergiftungssymptome und hatte eine Fehlgeburt. Auch ihre Kinder leiden unter schweren Beschwerden wie Zysten. Bei Urinuntersuchungen wurden hohe Konzentrationen von Glyphosat bei ihnen festgestellt. Der Fall kam in Argentinien vor Gericht, wo weitere Gutachten einen Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und der Pestizidbelastung nahelegten

 

Bayer widerspricht auf rbb-Anfrage. Der konkrete Fall aus Argentinien sei dort nicht bekannt und er passe nicht zum "Produkt- und Sicherheitsprofil von Glyphosat, welches eines der am besten untersuchten Pflanzenschutzmittel weltweit ist."

 

Ein argentinisches Gericht gab Ortiz Recht und legte 2019 Abstandsregeln von mindestens 1.095 Metern für die Ausbringung von Pestiziden fest. Sie selbst zog auf ärztlichen Rat hin aus ihrem von Sojafeldern umgebenen Heimatviertel weg.

 

Bayer verweist auf Schulungsprogramm

Bayer sei seiner Verantwortung für den Einsatz des von ihm angebotenen Gensojas und Glyphosats nicht in dem Maße nachgekommen, wie es die OECD-Leitsätze vorschreiben, sagt Christian Schliemann-Radbruch, Jurist und Leiter des Programms Wirtschaft und Menschenrechte des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR): "Ein Punkt ist auch, dass die Firmen dafür Sorge tragen müssen, was passiert, wenn ihre Produkte missbraucht werden." Seit 20 Jahren werde über die Situation vor Ort berichtet und es sei daher eindeutig vorhersehbar, dass es zu solchen Schäden komme - "und das sehen wir bisher überhaupt nicht in die konkrete Praxis der Firma integriert", so Schliemann-Radbruch.

 

Bayer verweist auf rbb-Anfrage auf sein Schulungsprogramm für den sicheren Umgang mit Pestiziden: "Allein in Lateinamerika haben wir im vergangenen Jahr 300.000 Landwirte mit Trainings erreicht. Wenn wir Hinweise erhalten, die auf einen nicht sachgemäßen Verbrauch hindeuten, gehen wir diesen konsequent nach."

 

Auswirkungen von Glyphosat umstritten

Einer, der seit Jahren vor Gesundheitsschäden des massiven Pestizideinsatzes warnt, ist Damian Verzeñassi, Medizinprofessor an der Universität von Rosario in Argentinien. Er wertete Gesundheitsdaten von 130.000 Menschen aus, die in unmittelbarer Nähe zu Gensojafeldern leben und stellte fest: Bei jüngeren Personen gab es auffällig viele Krebsfälle sowie Atemwegserkrankungen und Schilddrüsen- und Fruchtbarkeitsprobleme. "Die gesundheitlichen Probleme setzten erst Ende der 90er ein, als in Argentinien der massive Einsatz von Pestiziden begann", erklärt Verzeñassi.

 

Die Auswirkungen von Glyphosat und weiteren beigemischten Chemikalien sind weltweit umstritten. Bayer schreibt in seiner Antwort an den rbb, "dass Glyphosat bei sachgemäßer Anwendung sicher und nicht krebserregend ist". Dies sei von den führenden Gesundheits- und Zulassungsbehörden wie jenen der EU und der USA bestätigt worden.

 

Anbau von Gensoja in der Kritik

Doch bei der nun eingereichten Beschwerde gegen Bayer geht es nicht nur um die Gesundheitsauswirkungen von Glyphosat, sondern auch um die sozialen und ökologischen Folgen des Agrarmodells, das die Bayer-Tochter Monsanto ab den 1990er-Jahren weltweit durchzusetzen versuchte.

 

Das basiert auf dem Anbau von glyphosatresistentem Gensoja und dem dadurch möglichen massiven Einsatz von Glyphosat zur Unkrautbekämpfung. Beide Produkte verkaufte der Chemiekonzern quasi im Paket. In Bolivien beherrschte Bayer 67 Prozent (2019) des Marktes, in Brasilien, dem weltweit wichtigsten Sojaexporteur, sind es 44 Prozent.

 

Die Verbreitung des flächenintensiven Gensojaanbaus setzte einen doppelten Verdrängungsprozess in Gang: Schätzungen zufolge wurden bis 2017 jedes Jahr mehr als zwei Millionen Hektar Wald - in etwa die Fläche von Rheinland-Pfalz - im südlichen Südamerika gerodet, um Platz für den Anbau von genverändertem Soja zu schaffen.

 

 

Bayer: Gensoja-Anbau nicht der Grund für Abholzung

 

Außerdem verdrängten die Monokulturen die kleinbäuerliche Landwirtschaft, die kaum mehr Zugriff auf Land oder nur auf "Glyphosat-kontaminiertes" Land hat. "Indigene Gemeinden können dann oft nicht mehr genug anbauen und müssen sich Nahrungsmittel am Markt besorgen, für das ihnen das Geld fehlt. Das übersetzt sich dann in eine klare Verletzung ihrer Menschenrechte, also das Recht auf Nahrung oder das Recht auf Land", so Schliemann-Radbruch vom ECCHR.

 

Auch hier widerspricht Bayer den Beschwerdeführern und sieht nicht die Verbreitung von Gensoja als maßgeblich für Waldrodung und Vertreibung von Kleinbauern: "Die Konsolidierung der Landwirtschaft ist ein weltweiter Vorgang und ist völlig unabhängig von genmodifiziertem Saatgut. Wir beobachten dieses Phänomen im Übrigen auch in Europa seit Jahrzehnten, wo genmodifiziertes Saatgut nicht zugelassen ist."

 

Nach der Einschätzung der Organisationen leiden Kleinbauern - zum Beispiel in Paraguay - in unmittelbarer Nachbarschaft zu Gensoja-Feldern auch darunter, dass die Glyphosatanreicherung im Boden und im Wasser ihre Ernten zerstört. Denn anders als Gensoja von Bayer sind ihre eigenen Pflanzen nicht gegen Glyphosat resistent und gehen ein.

 

Menschenrechtler kritisieren Glyphosatbelastung

 

Außerdem sei in mehreren Fällen Trinkwasser durch Glyphosat verunreinigt. Ein weiteres beanstandetes Problem ist der Verlust der Biodiversität durch die Gen-Monokulturen und den Glyphosateinsatz. Laut Bayer zeigen Studien dagegen, dass bei sachgemäßem Gebrauch der Produkte "weder Menschen noch die Umwelt einem inakzeptablen Risiko ausgesetzt" seien.

 

"Was wir in unserer Untersuchung festgestellt haben, ist, dass die Probleme sich in den verschiedenen Ländern stark ähneln, das zeigt, dass es keine Einzelfälle sind und sich das Agrarmodell ändern muss", sagt Daisy Ribeiro von der brasilianischen Menschenrechtsorganisation Terra de Direitos, die an der Beschwerde gegen Bayer beteiligt ist.

 

Wirtschaftsministerium muss Vorwürfe prüfen

Eine Abteilung des Bundeswirtschaftsministeriums muss jetzt die gegen Bayer erhobenen Vorwürfe prüfen. Wenn sie die Beschwerde annimmt, wird ein Mediationsverfahren eingeleitet. "Das ist auch erst mal unser primäres Ziel", sagt ECCHR-Jurist Schliemann-Radbruch. "Wir wollen am Ende mit Bayer an einen Tisch kommen und die Schwachstellen in seiner Unternehmenspolitik gemeinsam beleuchten, um dann rauszufinden: Okay, wo muss man eigentlich die Stellschraube drehen, damit nicht weiterhin so viele negative Schäden in den vier Ländern passieren?"

 

In der Mediation soll es nach seinem Wunsch dann auch um die Frage von Schadensersatzzahlungen für die Betroffenen in Südamerika gehen. Ein juristischer Anspruch auf Entschädigung leitet sich aus den OECD-Leitsätzen nicht ab

 

 

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